Im Stundenglas

Rück-Blick (Absol III)

Serail, die erste. 15 Euro je Stunde für ein Bett ohne Decke, ohne Laken. Preis der Sehnsucht.
Im Inneren Samttapete und gedämpftes Licht. Unser Zimmer. Ich starre auf das Andreas-Kreuz an der gegenüberliegenden Wand. Absolem tritt hinter mich. „Zieh dich aus.“ Bluse, Rock, Schuhe…
„Strapse“, fordert Absolem. Ich rolle meine halterlosen Strümpfe ab und reiche sie ihm. Seidig, geschmeidig…
„Kopf zur Wand“, befiehlt Absolem. Ich umarme das kühle Holz. Nylonstoff zieht sich straff um meine Handgelenke. Jetzt, denke ich. Kein Zurück mehr. Und langsam, beinahe sanft, löst sich etwas. In mir, von mir. Von Alice. Ich, du, wir, sie… Alice driftet. Alice gleitet. Lose, löst, gelöst… Im nächsten Moment trittst du beiseite und betrachtest Alice von außen. Körper auf Kreuz. Kreuz über Kreuz. Der erste Schlag trifft dich hart.

Im Serail steht Zeit still. Wir fallen aus ihr heraus wie lose Zeiger. Minutenmaß, Stundenmaß, Stundenglas. Absolem schlägt zu. Er schlägt und streichelt, streichelt und schlägt. Zeit stillt. Am Ende fallen wir zurück. Das Uhrwerk läuft an. Es misst 4 Stunden auf dem Zifferblatt. Stundendiebe, Stundenliebe.

Serail, die zweite. Absolem geht durch alle Zimmer. Schließlich ist er zufrieden. Als ich eintrete, umarmt er mich von hinten. „Was meinst du“, fragt er dicht an meinem Ohr. „Warum habe ich dieses ausgewählt?“ Ich lasse den Blick über das Bett schweifen. Am Kopf- und Fußende ornamentales Eisen. Gitter-Bett. Unwillkürlich umfasse ich meine Handgelenke. Absolem schwenkt eine Kordel. „Kluges Mädchen.“
Später: ich nackt auf dem Bett. Hände und Füße fixiert. Ein weißes Kreuz auf weißem Laken. Die Augenbinde drückt. Warten in völliger Dunkelheit. Ich spüre seine Nähe. Heißes Wachs tropft auf meine Haut. Ich ziehe scharf die Luft ein. Mehr. Mein Körper zuckt. Er küsst ihn. Zentimeter für Zentimeter. Wunder und Bares. Wunder-bares.

Keine Buchung über Nacht. Kein Schlaf im Serail außer dem kurzen Dösen Arm in Arm, erschöpft, wie Atem holend. Liebe ohne Heim. Liebe ohne Heim braucht Geschäftszeiten wie Bürozeiten. Braucht Alibi-Zeiten.
Ich liebe die Goldtapeten. Das gedämpfte Licht. Die Gemälde von Sirenen, Nymphen, Faunen. Von schlafenden Akten und verschlungenen Paaren. Ich liebe die frischen Handtücher und Bademäntel, das einzig Wärmende. Liebe besonders das Zimmer mit der großen Wanne. Oder das mit dem altmodischen Canapé. Auch das mit dem Kreuz, und den Bändern baumelnd von Haken und Ösen.
Zeig mir deine Lust“, sagt Absolem.

Serail, die dritte. Nackte Beine öffnen uns die Tür. Immer die gleichen. Immer barfuß. „Nicht mehr im Geschäft“, erklärt Madame Barfuß und hebt das Hemd. Eine große Narbe spaltet ihren Leib. Gräbt eine Furche zwischen schlaffe Brüste. Teilt einen weichen Bauch. „Reißverschluss.“ Sie zieht das Hemd wieder herunter. „Aber ich mache Ausnahmen“, sagt sie und zwinkert Absolem zu.

Ich lausche den Geräusche aus den anderen Räumen im Vorbeigehen. Mal unterdrückt, mal nicht. Lust-Lauschen. Manchmal Madame Barfuß, die uns Kaffee bringt. Und Absolem, der sie herein bittet und sich dabei nicht schert um unsere Nacktheit – seine Stolze, meine Verlegene. Manchmal in Gedanken bei den Bestohlenen. Betrogenen. Lieben, Frieren, Zahlen. Wundgebühr.

Serail, die x-te. „Madame Barfuß hat was“, findet Absolem. „Freiheraus ordinär.“ Er lädt sie ein mitzumachen. Sie lächelt, flirtet, verhandelt. Aber er will sie für mich. Für mich? Mein Körper versteift sich. Doch Madame lehnt ab. „Keine Pussies.“ Ich entspanne mich. Absolem lacht und zieht mich an sich. „Nur Spaß, mein Mädchen.“ Stundenlohn, Stunden-Hohn.



Und wieder wird das Bild unscharf und verschwimmt, verschluckt sich die Uhr, schluckt die Winter-Sonnenuhr ein paar sol, ein paar Zeiten, Zeit-Einheiten, Zeitheiten, und schwenkt zurück auf Stunde 0, auf Absolem-Anfang, Absol. 0, ab sol 0, im Fortfolgenden.