Ihre Jacke, weiß, hängt über der Stuhllehne. Der Spieler hat es nicht eilig. Essen, reden, erkunden. Er genießt. Er will sie erst studieren und dann probieren – alles zu seiner Zeit. Vielleicht könnte er sie an dem Haken… Der Ton einer eingehenden Nachricht unterbricht seine Gedanken. Er spürt, wie Alice sich ihm entzieht. Sie wirft ihm einen entschuldigenden Blick zu, ehe sie sich über ihre Tasche beugt. Wie zufällig fallen ihr die Haare vors Gesicht.
Alice öffnet ihre Nachrichten. „Meister Hora oder Zeitdieb?“ erscheint fragend auf dem Display. Sie muss lächeln. „Beppo“, tippt sie eine schnelle Antwort. „Beppo Straßenkehrer. Unendlich viel Zeit.“ Und auf mehr wird S heute vergeblich hoffen. Denn da hat ihr der Spieler schon das Handy abgenommen und es ausgeschaltet.
Sie sperrt die Tür auf. Es duftet nach Eiern und Kaffee. Aus der Küche lächelt S ihr entgegen. „Guten Morgen, Zombie!“ Er hält ihr eine Tüte mit frischen Semmeln hin. Dankbar greift sie zu. „So ausgehungert nach der anstrengenden Nacht?“, fragt S. “Ja“, antwortet Alice. Immer. Und sie ist unendlich froh, zu Hause zu sein.
Alice schiebt den ausgefüllten Fragebogen in einen Umschlag und adressiert ihn an Dr. Psych. Im Gegenzug kommt ein Buch. „Ich lieb‘ dich nicht, wenn du mich liebst“, tönt der Titel. „Spoiler“, murmelt Alice und wirft das Buch in eine Ecke. Adieu, Borderline. Hallo, Bindungsunfähig.
„Wo bleibt die angemessene Begrüßung?“, fragt Riff Raff. Fußkuss. Links, rechts. Angemessen. Er lächelt.
Später: Ihre Jacke, blau, liegt auf dem Teppich. Riff Raff bedeutet ihr, die Handflächen zu öffnen. Er legt etwas hinein. Ein schwarzes Etui. Sie öffnet den Verschluss. Eine Glasfeile kommt zum Vorschein. Elegant. Filigran. Freude. Zerbrechlich schön. Alice, geschliffen.
3:15 Uhr. Noch 4 Stunden Schlaf. Leise schließt Alice die Tür. Ihr Blick fällt in den großen Spiegel im Flur. Alice, zerflossen. Zerlaufen, zerzaust. Der Körper geschunden. Angenehm. Sie schleicht in Richtung Bad. Fehs Zimmertür ist nur angelehnt. Alice wirft einen Blick zurück und sucht den Dielenboden nach fremden Schuhen ab. Aladin – ein neues, ein junges Feh-Kapitel. Eins aus Worten so blass und druckfrisch, verwischbar frisch und langsam trocknend nur. Aber: Nein, Feh ist allein. Vorsichtig schiebt Alice den Kopf durch den Spalt. Feh sitzt aufrecht im Bett. Zitternd. Zweifelnd. „Was, wenn er mich betrügt?“, fragt sie. „Was, wenn er mich nur verarscht?“ Alice setzt sich zu ihr. Stopft Kissen und Decken um den Fehn-Körper, der mit einem Mal zerbrechlich wirkt. „Dann heiraten wir“, antwortet Alice fest. Feh lacht und weint noch ein bisschen, bevor sie sich die Nase putzt. Alice vergräbt die ihre in Fehs Locken. Dann schlafen sie ein.
Träume (I)
Er sitzt in einem Zirkuswagen auf einer Bank. Mit Freunden und Familie. Clowns, Dompteure und Tänzerinnen, an der Wand aufgereiht wie Statisten. Er trägt eine Harlekinsträne unter dem Auge. Du trittst auf ihn zu. Er sieht dich nicht. Kein Platz neben ihm. Ein Gong ertönt. Alle stehen auf und setzen sich um. Nur du stehst. Er guckt durch dich hindurch. Erkennt dich nicht, sieht dich nicht. Seine Augen ein See. Dunkler als sonst, dunkel bis auf den Grund. Genau wie nach dem Geständnis. Dem ersten in der Reihe. Du suchst seine Augen ab. Die Träne flammt auf. Sie brennt sich in seine Haut. Verbrennt Haut. Du greifst nach seinem Arm. Doch statt Arm und Hand ziehst du ein buntes Tuch aus seinem Ärmel. Du ziehst und ziehst, doch es will nicht enden. Tuch um Tuch ziehst du aus seinem Ärmel, Farbe um Farbe, bunt um bunt. Als du aufblickst, ist er verschwunden.