Dr. Psych spricht von der Kunst der Zurückweisung. Von Unpässlichkeiten des Alltags. Und der Kompensation mit Süchten. Alles ist dissoziativ.
Abende verkosten: Den Spieler und Gin. Riff Raff und Rotwein. Manchmal Hausbar, mit Feh und S. Manchmal allein.
Morgens: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer hat den schlimmsten Kater im Land? Du siehst Augen beringt, unter-ringt. Siehst Haut, blassbleich, wie weiß bespannte Knochen. Und einen Mund, mündig, wundrot. Kann mir nicht helfen, denkst du. Mag den Anblick.
Ein neuer Fragebogen von Dr. Psych. Borderline-Test. Ich male Kreuze. Ja, Ja, Nein, Ja, Nein, Nein. Bei „Ich fühle mich auserwählt, z.B. wie ein Prophet“ ist der Ernst dahin. Ich lache los.
Fragen wie schwarz und weiß. Wie Himmel und Hölle. Engel und Teufel. Moral und Unmoral. Fragen mit „immer“ und „nie“. Schubladen. Ich hole mein Handy hervor und tippe eine Nachricht.
Nichts ist nur schwarz oder weiß. Selbst Schneewittchen ist beides.
LG Ihr schönstes Problem ❤
P.S.: Kann nächste Woche nicht, muss frohe Botschaft verkünden… Gott ist eine Frau.
Ich wähle die Nummer von Dr. Psych und drücke auf Senden. Und dann, beim schwarz-weißen Fragebogenblätterschichten, taucht ein Bild in meiner Erinnerung auf – von blondem Haar, das fällt wie Seide, wie Seidenvorhang auf nackten Rücken. Engelshaar und Teufelsbund. Schwesternbund. Und ein Fragebogenblätterschieben weiter, ein schwarz-weißes Kreuzen und Prüfen später denke ich: meine Neins sind ihre Jas.
Rückblick
Du sitzt im Bad auf dem Wannenrand. Sie steht nackt vor dem Spiegel und kämmt sich, taucht den Kamm in Haar und malt weiche Linien in ihr Haar, das Helle, das Helenenhafte, das ihr lang über den Rücken fließt, seidig lang bis zu der Falte fließt, wo schmaler Rücken endet und runder Po beginnt. Sie kämmt mit feinen schlanken Händen, lässt Kamm und Hände tanzen, Glieder tanzen, die immer gleiche Geste wiederholend, wieder-holend: Tauchen, furchen, wieder holen. Der Anblick hypnotisch. Hypnotisierend. Du betrachtest ihren Körper, jungen Körper, fraulich rund, fraulich schön. Ihr Busen voll und weich. Kein Kind mehr wie du. Absurd schön. Ein Engel, glaubst du. Sie, die sich kümmert. Sie, die dich an die Hand nimmt und nach draußen bringt, wenn er die Wut bekommt. Sie, der Engel. Er, der Teufel. Schwarz-weiße Welt. Du willst sein wie sie.
Verwandtentage. Tantenverwandte betuscheln sich. Tantentuscheln, mit Blicken, äugend in deine Richtung. „Ganz die Ältere“, beäugt man dich. „Etwas unbändiger, vielleicht“, betuschelt man dich. „Weniger zart, weniger sirenenhaft. Aber sonst…“ Mal hält man dich für sie. Mal erblickt, beblickt man dich wohlwollend wie sie. „Ihr Hübschen, ihr…“ Ihr, beide. Es macht dich stolz. Du hängst an ihr als treue Hündin. Suchst Nähe, ihre, und Vertrauen zu gewinnen. Erz-Engel, denkst du. Sie, die Starke. Sie, die Stolze. Die Wille weiß und Wege wählt. Hat sie Schmerzen, zuckst du selbst zusammen. Hat sie Kummer, hallt die Traurigkeit in dir wie ein Echo. Ich bin wie sie, denkst du.
Sie wird dünn und dünner. Dünn wie Haar, das glanzlos stumpf, wie Blicke stumpf. Schatten höhlen Wangen hohl, gefasst von Ecken und von Kanten scharf geschliffen, Weichheit abgeschliffen. Düsterfurchen schneiden. Sorgen falten sich in Stirn und schmale Lippen, Strichmundlippen – Wortespeier, Pfeilwortmunition verspeiend: Zielen, zischen, treffen. Feindbilder kommen und bleiben. Ein Haarriss trennt euch. Sich-weitend, wachsend, zum Graben auswachsend. Ich bin wie sie, denkst du, leiser als früher. Sie führt Krieg. Ein Feldzug gegen böse Welt, gemeine Welt. Du leidest mit, anders als früher. Leidest Trauer, statt Traurigkeit. Betrauerst die Gefallenen. Kriegsleichen. Erinnerungsleichen, die du begräbst. Engel aus Erz, denkst du. Sie, die Liebe in Hass verkehrt. Sie, die, was Liebe werden wollte von sich weist und hasst im Gegenzug, in Erz und Stein erstarrt erfroren. Nein, denkst du. Ich bin nicht wie sie.