Sie haben sich ein Nest aus Decken gebaut. Jetzt malen sie Rauchkringel in die Luft. Alice tippt ein weiteres Wort in den Laptop, nur um es gleich wieder zu verwerfen. Sie fragt sich, an was sich die Menschen festhalten, wenn es keine Zigarette ist. Und wie sich die Menschen selbst zusammenhalten, wenn nicht mit Sätzen, geschrieben und getippt. Man müsste sich zusammennähen… „Feh“, fragt Alice, „was ist die Alternative zu Rauchen und Schreiben?“ Feh lacht. „Saufen und Vögeln, was sonst?“ Sie nimmt ihr Glas und geht zurück in die Wohnung.
Auf dem Weg ins Bad kommt ihr S entgegen. Er deutet auf den Balkon. „Lust auf eine Wette?“, fragt er. Aber Feh winkt ab.
„Hey Alice!“ S streckt den Kopf nach draußen. „Was, glaubst du, ist eher fertig: Dein Text oder deine Lunge?“ Alice löst den Blick vom Bildschirm und drückt die Zigarette aus. “Lunge“, vermutet sie und pustet etwas Asche von den Tasten. Dann hackt sie eine weitere Silbe hinein.
Als sie aufblickt, steht S noch immer im Türrahmen. Mit verschränkten Armen und strengem Blick. Monobrauen-streng. Alice lacht los. Er lässt die Arme sinken. Einen Versuch war es wert. „Tut mir leid“, sagt Alice und wischt sich die Lachtränen aus dem Gesicht. „Tut mir leid, aber das nehm‘ ich dir echt nicht ab.“ S nimmt es gelassen. „Wart’s nur ab“, sagt er. „Irgendwann bekomme ich das raus.“ Nie im Leben bekommst du das raus, denkt Alice. Täusch dich da mal nicht, denkt S.
„Heute Film-Abend?“, fragt S. Irgendwo klingelt ein Handy. „’n Typ!“ ruft Feh aus dem Flur. Alice stürzt nach drinnen. „Also nicht“, murmelt S und blickt ihr nach.
Alice, gekettet. Wieder aus der Zeit gefallen. Ihr Körper sackt in sich zusammen. Riff Raff fängt ihn auf. Er löst die Schnallen. Entfernt die Ketten. „Ich hab’s ausgehalten“, flüstert Alice. „Ich hab’s ausgehalten.“ Er küsst sie. Er hält sie im Arm. Sie versinkt. Sie sinkt. Glücklich. Nie schmeckt die Zigarette besser. Und nie das Glas Wein.
„Es geht also nur um das gute Gefühl danach?“, fragt S beim Frühstück. Aber Alice ist müde. Alice ist schon wieder aufgeprallt. Flughöhe gleich Fallhöhe. Und Alice weiß keine Antwort. Sie teilt ihr Brötchen in zwei Hälften. Und diese nochmal in zwei. Und nochmal. Und nochmal. Als ein Paar Laufschuhe vor ihren Füßen landet, blickt sie auf. „Du willst gequält werden?“ S wirft ihr die Sportjacke zu. „Bitte, das kannst du haben.“
Er hat sie weit zurück gelassen. Jetzt läuft er rückwärts, damit sie aufholen kann. „Komm, komm“, lockt er Alice. Ausgelassen. Befreit. Sie jagt ihm nach, bekommt ihn zu fassen. Doch S entwischt, tänzelt, feixt. Immer eine Armeslänge voraus. Er genießt es. Das ist Leben, Alice. Das ist die Wirklichkeit. „Sklaventreiber“, japst sie. Am Ende ein neuer Rekord. Anerkennend klopft er ihr auf die Schulter. „Gut gemacht.“
Sie platzen in die Wohnung wie zwei übermütige Kinder. Verschwitzt. Gelöst. Feh empfängt sie kühl. Reizbar. „Die Küche sieht aus wie Sau“, sagt Feh. „Wisst ihr das?“ S schiebt sie zur Seite und macht das Licht aus. „Jetzt nicht mehr“, sagt er grinsend. Feh geht in ihr Zimmer und knallt die Tür hinter sich zu.
Träume (II)
Du betrittst eure alte Wohnung. Die Möbel sind fort. Es ist schmutzig, staubig, feucht. Wasser läuft in dunklen Fäden die Wände hinab. Rinnt herab und versickert im Boden. Du gehst durch alle Räume. „Wo bist du?“, rufst du im Erwarten, dass er jeden Moment vor dir auftauchen wird, ganz bestimmt, jeden Moment. Als du überall nachgesehen hast, beginnst du von vorne, Runde um Runde drehend. Bestimmt kommt er gleich. Stoisch. Bestimmt, jetzt gleich. Beharrlich. Aber die Wohnung bleibt leer. Nur Schimmel und Schmutz und Spinnweben und das Wasser, das tropft und rinnt und tropft und rinnt, die Wände herab auf Spinnen und Ungeziefertier, das kreucht und fleucht über Schimmel, der sich ausbreitet, Wände entlang fressend und auf dich zukriechend, bis er deine Füße befällt und deine Beine hinauf kriecht, sich zwischen deine Beine kriechend weiter in dich hinein frisst und dich von innen schimmelnd langsam faulen und verwesen lässt. Und da begreifst du: Er kommt nicht.